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Was wäre unsere Wirklichkeit ohne das Netz? Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen antwortete darauf vor einem Jahr in der Zeitung DIE ZEIT: „Wir würden sehr viel weniger sehen ohne dieses Medium der radikalen Differenzerfahrung. Es gäbe keine kleinen, lustigen TikTok-Videos, in denen Menschen ihr Erschrecken vor dem Virus wegtanzen, keine großartigen Ad-hoc-Podcasts von Virologen, keine permanent aktualisierten Statistiken, keine interaktiven Karten und Kurven, die vom Fortschreiten der Pandemie künden“. Man würde von den Experten, den Journalisten, den Verschwörungstheoretikern und Desinformationsspezialisten, den Spaß- und den Panikmachern und den Wundermittelanbietern sehr viel weniger mitbekommen. Eine Überdosis Weltgeschehen und eine Atmosphäre der totalen Gleichzeitigkeit hätten wir uns damit eingetreten, so Pörksen.
Nicht ohne Grund nennt sich dieses von Pörksen angesprochene Medium „das Netz“ und hat sich damit an einen der wichtigsten Begriffe in unserem menschlichen Dasein angenähert: Die Netzwerk-Orientierung. Sie ist eine wesentliche Eigenschaft für unser Überleben und zählt zu den sieben Säulen der Resilienzkompetenz. Sie ist unsere Investition in ein Auffangnetz für Krisen, welches frühzeitig gesponnen werden sollte. Denn unsere Netzwerk-Orientierung agiert wie ein Muskel, den man im Sinne der psychischen Stabilität ständig trainieren muss. Es geht dabei eben nicht um die Vernetzung mit Netzwerken wie Social Medias, Podcasts oder Hör- oder Fernsehsendungen. Es geht um die Vernetzung mit realen Menschen, auf die man sich verlassen kann und die im Ernstfall für einen da sind. Netzwerkorientierung bedeutet das aktive Schaffen eines Beziehungsgeflechts, das uns bei Problemen, Herausforderungen und Krisen hilfreich unterstützt. Denn wir Menschen sind soziale Wesen und brauchen soziale Beziehungen und Bindungen. Durch starke Bindungen fühlen wir uns in unsicheren Zeiten sicherer. Uns wichtige Menschen spenden Kraft und motivieren uns, Herausforderungen anzunehmen. Dieses Netz hat uns in der Evolution vorangebracht. Und es wird uns auch jetzt sicher durch die Krise bringen.
Der Beitrag erschien im Magazin NOTOBENE Nr. 2/2021.
