Beschleunigung

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Von den meisten technischen Erfindungen wird behauptet sie würden Zeit einsparen. Gleichzeitig hat sich jedoch mit jeder zeitsparenden Erfindung – wie beispielsweise die Eisenbahn, die Luftfahrt oder das Internet – nicht nur die Geschwindigkeit oder das Wesen, Raum und Zeit zu überwinden, sondern auch der Zeitdruck beschleunigt. Wir handeln schneller, wir reden und laufen schneller, wir lassen Pausen weg oder füllen sie. Wir ersetzen langsame Handlungen durch schnelle und essen Fast Food oder machen Dinge gleichzeitig, Stichwort Multitasking. Schon lange haben wir natürliche Beschleuniger wie Pferde oder Wind hinter uns gelassen. 

Unser Alltag hat sich zunehmend beschleunigt und interessante Effekte haben sich damit ergeben. Der Soziologe Andreas Reckwitz analysierte in seiner Studie “Die Gesellschaft der Singularitäten” dass viele Menschen den Wunsch verspüren, das eigene Leben zu einem einzigartigen Kunstwerk zu formen, welches sich vom Standard des Normalen abhebt. Nicht mehr das Allgemeine und Normierte gelte als oberster Wert, sondern das Außergewöhnliche und Singuläre. Der “Connaisseur” sei heute gefragt, so Reckwitz: „Der Fachmann fürs Genießen mit gut dotiertem Beruf, der sein Leben als Abfolge von exquisiten Reisen, extravaganten Speisen und kulturellen Hochgenüssen arrangiert“. Jüngere Menschen haben wiederum den FOMO-Effekt, the Fear of missing out, kreiert. Das Phänomen beschreibt die zwanghafte Sorge, eine soziale Interaktion, eine ungewöhnliche Erfahrung oder ein anderes befriedigendes Ereignis zu verpassen und nicht mehr auf dem Laufenden zu bleiben oder sich nicht genug ausleben zu können. Sogenannte „Fomotiker“ können ebenso Angst davor haben, die eigene Selbstverwirklichung zu verpassen. JOMO nennt sich wiederum die Gegenbewegung zu FOMO. Gemeint wird damit „the Joy of missing out“, also das Luftholen in der Stille, der Rückzug, der Verzicht und das bewusste Wegbleiben und Abschalten. 

Die Beschleunigung fordert somit nicht nur tagtäglich unser Zeit- und Lebensmanagement, sondern lässt auch neue Begriffe entstehen, welche uns helfen sollen, zu benennen und zu erkennen, was den Menschen und seine Existenz ausmacht. Dabei ist und bleibt es doch stets dasselbe: Wie wir unser menschliches Miteinander regeln und unsere Beziehungen gestalten, ordnet das Leben und die Zeit. 

Der Beitrag erschien im Magazin NOTOBENE Nr. 2/2018.

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